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Gedanken zu Ephesos


Artikel für den Katalog "Ephesos - ein moderner Schutzbau - das Reifen der Idee", Februar 2000, Herausgegeben von Prof. W. Ziesel


An diesen Namen sind 102 Jahre österreichischer archäologischer Forschung gebunden. Das Österreichische Archäologische Institut, gegründet 1897, hatte als Haupttätigkeit die Ausgrabungen in Ephesos. Ist es nur ein patriotischer Stolz was uns beim Anhören dieses griechisch-hetitischen Namens eines jetzt türkischen Ortes beflügelt? Nein, weil Ephesos viel mehr als eine Ausgrabungsstätte bedeutet, dieser Name steht für eine ganze Kultur, eine der bedeutendsten im antiken Ionien und römischen Reich, mit ihrem eigenartigen Glanz, ein Lebensstil, eine in sich abgerundete Welt mit ihrer bewegten und bewegenden Geschichte. Über zweitausend Jahre spannt sich diese Geschichte. Von der Zeit des Hetitenreiches und der mykenischen Zivilisation, um 1500 v. Chr. bis zu den ersten türkischen Besiedlungen um 700 n.Chr.

Mit dem Namen Artemis wird Ephesos wohl am stärksten verbunden sein: die griechische Göttin der Fruchtbarkeit wurde ab dem 6. Jh. v.Chr. zur Hauptfigur des ephesischen Pantheons und der Artemision - Tempel und Wallfahrtszentrum für die gesamte hellenische Welt - wurde als eines der größten ionischen Tempeln zu einem der sieben Weltwunder der antiken Welt deklariert. Mit Säulenhöhen von 18m und einer Cella, welche von zwei Säulenreihen gesäumt war, ist der Artemision heutzutage auch einer der wenigen, als sehr reduzierte Ruine, noch erhaltenen ionischen Tempel Kleinasiens. Der Bau ließ den antiken Bewunderer den Zusammenfluss von zwei Welten erleben: die klassisch-griechische, mit ihren Idealen der Schönheit und Ausgewogenheit, und die asiatische, mit ihrer Monumentalität und Prunk. Man kann sagen, dass sich in dieser ionischer Archiktektur auch eine ewig "doppelte" Lage von Ephesos (zwischen zwei Kulturen - des Mittelmeers und Asiens) am besten widerspiegelt.

Wichtig in der Geschichte des Denkens, jedoch wenig in Verbindung mit Ephesos bekannt, ist Heraklit "der Dunkle". Fast zeitgleich der Errichtung des Artemisions, ist Heraklits Denken mit seinem panta rhei ein Meilenstein der klassischen Philosophie. Er war derjenige, der als erster der Theorie der unmöglichen Bewegung von Parmenides widersprach. Die griechische Onthologie und Gnosseologie ist ohne ihn nicht denkbar. Ob es ein Zufall ist, dass der Fluss aller Dinge in Ephesos erkannt wurde?

Berühmte Gestalten der griechischen und römischen Geschichte verbinden ihren Namen immer wieder mit Ephesos: Alexander der Große hinterlässt seine Spuren dort - in der Zeit seiner Feldzüge gegen Persien; Julius Caesar und später das aus dem Shakespeare-Drama wohlbekannte Paar Marcus-Antonius und Kleopatra halten sich in Ephesos auf.

Im Hellenismus und später als römische Provinz (in Asia inkludiert) erreicht die Stadt ihren absoluten Zenith - kulturell, architektonisch, wirtschaftlich: Im 3. Jh. v.Chr. wird sie durch eine im hyppodamischem Muster angelegte Siedlung ergänzt (Arsinoe - zur Zeit des Kaisers Lysimachos); unter Augustus wird sie im römisch-hellenistischen Stil massiv erneuert; Im 2. Jh. n.Chr. ist Ephesos die viertgrößte Stadt des östlichen Imperium Romanum - neben Alexandria, Antiochia und Athen. In dieser Zeit ist die Stadt für ihr Artemision, der Bibliothek von Celsus, dem Musieon (Universität) und der medizinischen Schule berühmt.

Ephesos ist auch mit der christlichen Geschichte eng verbunden: die berühmten Briefe des Apostels Paulus an die Epheser zeugen von seinem Aufenthalt in Ephesos; die Christengemeinde der Stadt gilt, neben der antiochischen, als die älteste überhaupt; die Offenbarung des Johannes entsteht in Ephesos; endlich - unter Constantius II, Sohn von Constantin - wird Ephesos zu einer christlichen Stadt. Der Marienkult, so wie wir ihn heute kennen, hat seinen Ursprung auch in Ephesos - denn 431 entschied dort das III ökumenische Konzil dass Maria als Gottesgebärerin ( und nicht nur als Christusgebärerin wie bis damals) zu betrachten ist.

Die reiche und wechselhafte Geschichte Ephesos’ wird zu gebauter Architektur. Ausser den schriftlichen Überlieferungen ist in der Archäologie fast alles Architektur. Die heutigen Ruinen stehen also in enger Wechselwirkung mit der reichen Geschichte Ephesos’. Ihre Überlagerungen, Zerstörungen und Umbauten deuten auf die Aufeinanderfolge von glanzvollen oder dramatischen Epochen.