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texte aus der provinz:
Deutsch-Wagram

 
 
lakonisches
 
 
kinderfreibad Hofferplatz, Wien 16
 
 
artikel für die zeitschrift Arhitectura
 
 
kulturzeitschrift Dilema, bukarest
 
 
in Wien erschienen...
 
 
artikel für Kontakt - Magazine for Arts and Civil Society in Central Europe
 
 

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Ein Zentrum für Deutsch Wagram


kleine Entwicklungsstudie, März 1999 (im Auftrag von Arch. Erich Amon)


1. "Stadtmarketing" - wie macht man eine Stadt attraktiv?


Durch welche Mitteln kann man die Enwicklung der Stadt stimulieren, in die nützliche Richtung leiten?

Es geht nicht nur um rein Städtebauliche Lösungen, um Grundstücke, Stadtbild (Stadterhaltung und -gestaltung, nach dem Motto der Dorferneuerung in NÖ), Straßenzüge und Gebäude, sondern es geht um interdisziplinäre Lösungen, um wirtschaftliche Strategien, um das Aufbauen eines bestimmten "Bildes" (image) der Stadt. Dieses Bild der Stadt kann sich aus verschiedenen Teilen zusammenfügen: aus dem Bild der Stadt als Wirtschaftstandort (Standort für neue Geschäfte, Banken, Supermärkte, Shopping-City, u.a. Unternehmen aus dem sekundären und tertiären Sektor), aus dem Bild der Stadt als soziales und kulturelles Gefüge ( die Leute und ihre Treffpunkte - Cafés, Veranstaltungen, Kultur, aber auch die Wohnbezirke) und aus dem "visuellen", effektiven Bild der Stadt ( seine Erscheinung: Straßenzüge, Parks, Gebäude...).

Warum sollte sich ein Unternehmen hier und nicht woanders niederlassen? Warum sollten sich neue Bewohner (als potenzielle Kunden für die Baubrance und auch als Konsumenten) sich gerade diese Stadt als ihre neue Heimatstadt aussuchen?

Die Antwort auf solche Fragen ist im Falle eines Produktes ( z.B. ein Auto) die Marketingstrategie, also die Methode, ein möglichst hohen Absatz des Produktes zu erzielen, indem man es von der Produktion her maß-schneidert auf die Notwendigkeiten des Marktes. Das Produkt muß beweisen und bekanntmachen, daß es nützlich und wertvoll ist.

Auch unsere Stadt, in diesem theoretischen Experiment, kann als angebotenes Produkt angesehen werden. Dadurch behaupten wir, daß die Stadt, mit ähnlichen Mitteln des Marketings sich bekanntmachen muß, um die potenziellen Kunden und Entwicklungsfaktoren für sich zu gewinnen. Im Konkurrenzkampf der Städte Niederösterreichs (aber auch der Städte und Regionen Europas) muß Deutsch Wagram versuchen, seine Individualität, daher ihre wertvollen Eigenschaften und Eigenheiten (welche sie ANDERS machen), hervorzuheben.

Im heutigen Konkurrenzkampf kann die Stadt nur so eine positive Entwicklung durchmachen, die mit sich eine gute wirtschaftliche Lage und eine angenehm zu bewohnende Stadt bringen würde. Das heißt - zwei wesentliche Qualitäten welche den Bewohnern dienen würden: 1) gute wirtschaftliche Lage, Arbeitsplätze und 2) Stadtraumqualität, eine immer schönere, gesichts-hafte ( nicht -lose!) Stadt. Eine Bewohnbare Stadt.

So wie wir es sehen, unterscheidet sich das "Stadt-Marketing" wesentlich von der klassischen oder kommunistischen "Stadtplanung" bzw. "Systematisierung" dadurch daß es nur bestehende Tendenzen und Eigenschaften zu nützen sucht, jedoch keine rigide, sondern eine flexible Langzeit- oder mittelfristige Strategie vorschlägt. Das Stadt-Marketing ist nur eine Katalyse, durch welche die freien wirtschaftlichen Faktoren herangezogen werden, durch welche die FREIE Entwicklung der Stadt unterstützt wird. Es geht nur um das Kultivieren und hervorheben von Tendenzen, mit der Beibehaltung der Natürlichkeit dieser Phänomene. Das hat als Folge eine große Erfolgschance der vorgeschlagenen Veränderungen (keine gewaltsamen Implantationen und Einschnitte in die Stadtstruktur, wie früher) und auch eine Entlastung der Gemeinde, die nicht mehr bauen muß, sondern (so wie es sich in einer modernen Demokratie gehört) nur als Repräsentant der Gemeinschaft (Bewohner, usw., Unternehmer) der Stadt die Rolle des Vermittlers und Katalysators, des Schiedsrichters übernimmt.

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2. Zu einem Marketing-Konzept für Deutsch Wagram würden gehören:


  1. (wirtschaftlich, soziologisch)

  2. Prognose der Stadtentwicklung und der "auswärtigen" Interressen in der Stadt (kommen neue Märkte in der Zone? Neue Investoren?)

  3. Suche von potenziellen, unausgeschöpften Möglichkeiten der Stadt im regionalen und europäischem Gefüge.

  4. Aus 1+2+3 -> Schöpfung eines neuen Stadtbildes, eines Stadtentwicklungsprogrammes (also einer Stadt-Marketing-Strategie) welche( r ) die zukünftige Entwicklung katalysieren soll!

Detail: Bild der Stadt selbst - Kristallisierung und Bewußtmachung der "polyzentrischen Struktur" von DW und Erhebung dieser zur Charakteristik des Stadtbildes von DW.

Wege - z.B. Friedhofsallee - als Verbindungen zwischen den verschiedenen Zentren. Stadt als Gefüge von Zentren und Verbindungswege. "Spazierstadt", keine Stadt mit Einzelzentrum, hierarchisch, kalt, fix, sondern eine des Parcours, des Umherschweifens...mit pittoresken Verläufe von einem Zentrum zum anderen.

Wichtig für Erfolg des Stadt-Marketings: Charisma einer sich einsetzenden Person welche für das Image der Stadt bürgt und den Investoren Vertrauen einfließt! z.B. der Bürgermeister, mit Beziehungen auf Landes- und Bundesebene.Diese Person muß starkes Lobbying betreiben, um die Ziele der Stadt zu verwirklichen.

Wichtig dabei ist daß die Entwicklung der Stadt durch die Mitsteuerung des Architekten eine ästhetische Komponente erhält. Dieser kann die tiefgründigen Effekte einer oder anderen Maßnahme besser und schneller verstehen und die bestmögliche Variante (aus ästhetischem Standpunkt) suchen.


3. Analysen:


  1. Die Stadtentwicklung bis heute: Angerdorf, Kirche, Friedhof, Windschutzgürtel, dann Ankunft der Bahn, Verlagerung des "Zentrums" Richtung Bahnhof, Entwicklung der Bundesstraße als wichtige Verkehrsader - neue Verlagerung des "Zentrums" Richtung Bundesstraße, neue Wohnviertel im NO, über der Bahnlinie.


  2. Das Studium der Entwicklung soll kein rein historisches sein, sondern dient des Verstehens der Mechanismen die in DW agiert haben, und daher der Prognose der Zukunft.


  3. Studium der heutigen "Interressenspunkte" und "Zentren" der Stadt: wo scheinen die besseren Ansiedlungsstellen für neue Geschäfte zu sein, wo kann sich angesichts der Trends und Tendenzen ein Zentrum bilden, den man architektonisch und durch gesetzliche oder administrative Maßnahmen fördern soll.


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  5. Studium der Tendenzen in der Zone (neue Shopping-City, neue Verkehrsstraßen, neue Industrieansiedlungen, Bevölkerungszuzug in der Zukunft - Prognose- und daher Interessen von Investoren für neue Wohnbauten oder Altstadtsanierung, Sozialforschung und Tendenzen innerhalb der Gemeinschaft der Kleinunternehmer aus DW).


4. Studium der jetzigen Städtebaulichen Komposition:

(aus architektonischer Sicht)


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Notwendigkeit einer Straße mit Charakter, eines Zentrums in der Art der Fußgängerstraßen aus Gänserndorf oder anderer solcher Kleinstädte.

Deutsch Wagram hat zur Zeit keinen ausgeprägten Zentrum. Es scheint sich in vielen unvollendeten Fokuspunkte zu "zerstreuen" . In verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung hat die Stadt einen Fokuspunkt nach dem anderen entstehen lassen, um ihn dann wieder zu verlassen, zugunsten einer neuen Entwicklungsachse mit einem neuen Fokuspunkt. Dadurch wirkt die Stadt heutzutage eher gesichtslos, ihr Antliz prägt kein besonderer (Gesichts- oder Straßen- oder Eisenbahn- ?) Zug.

Um der Stadt ein neues Image zu verleihen, wäre es am wichtigsten Ihr ein neues Zentrum zu geben, bzw. ihre Identität durch kleine Städtebauliche Eingriffe zu verstärken. So könnte man die bestehenden Achsen die eine "zentrale" oder "Fokusrolle" spielen, durch verschiedene Maßnahmen beleben und renovieren, unterstreichen. Die Achse "Friedhofsallee" als Fußgängerzone könnte dabei die Rolle des "Altstadtzentrums" mit allem drum und dran zugeordnet werden. Aus einer jetzt eher toten Straße könnte sie eine Geschäfts- und Einkaufsstraße werden, welche gleichzeitig die Wichtigsten Gebäude der Stadt verbindet: Kirche, Schule, Musikschule, Gemaindeamt. Dazu könnten also neue Geschäfte und andere Dienstleistungen (Bibliothek, Markthalle, Friseur, Arzt, Firmenbüros, Cafés mit Tische im Freien) kommen, welche durch ihre Anziehungskraft ein belebtes Zentrum erzeugen könnten. Im Zusammenhang mit den wirtschaftsstudien für DW könnten hier solche Geschäfte platz finden, welche eine Art komplementäre Leistungen für Kunden der Shopping City oder anderer Großmärkte anbieten könnten. Dadurch würde die Stadt Ihre "MacDonald-isierung" vermeiden, ohne dabei überhaupt etwas zu verlieren, sondern, im Gegenteil, indem sie sogar Kunden und Absätze gewinnt!

Durch eine geschickte Verbindung (visuell, über Plakate und Werbung, oder durch räumliche Bezüge) könnten die Kunden der benachbarten Großmärkte zum gemütlichen, eleganten Altstadtzentrum von Deutsch Wagram geleitet werden.( ! Dabei wäre eine Studie über Kundenpsychologie, und wie die verschiedenen Zielgruppen: Fußgeher mit öffentlichem Verkehr, Autofahrer, am ehesten den Weg vom Großmarkt zum benachbarten Altstadtzentrum einschlagen würden. Ist es überhaupt möglich, diese zwei Welten zu verbinden: Altstadt, Dörfliches Dasein und Supermarkt als schnelle Befriedigung von Einkaufs-notwendigkeiten oder -lüste? Ist jemand der nach SCS fährt interessiert, ein Abzweiger nach, z.B., Maria-Enzersdorf zu machen?


Eine wichtige Rolle würde in diesem Falle die Gestaltung und Lage der Großmärkte, als auch der Anlagen (Parkplätze, Zufahrten, Lagerhäuser) spielen, um den Eindruck einer Zersiedelten Landschaft zu vermeiden und eine Kohärenz zwischen Wohn- und Altstadtbereich einerseits und Großmarktbereiche andererseits zu schaffen

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5. Stichworte, Ideen:

Ganzheitliche Vision: Spezialisten der Bodenkultur (Landschaftsplanung), Soziologie, Wirtschaft und Technik.

Die Veränderungen, die sich in der Lebenswelt Stadt, in der Sozial- und Berufsstruktur und in den räumlichen Zusammenhängen ergeben, können die Grundlage einer neuen, europaorientierten Stadtpolitik bilden.

Das berühmte Projekt für die französische Stadt Lille, genannt "Euralille" wurde als erster Pilotprojekt dieser Art (Stadtmarketing und PPP - Public-Private-Partnership) bereits 1981 begonnen. In einer Zeit als andere noch am kalten Krieg dachten, wurde in Lille bereits über europäische Bezüge nachgedacht. Der Zeitvorsprung zeigt jetzt seine Früchte: Lille ist durch dieses Projekt berühmt geworden, und hat den Sprung von kleiner Provinzstadt zur Europastadt geschaffen.

Also: Neue Möglichkeiten gleich nützen! So wie am Markt - die Nischen schnell erkennen und nützen! Deutsch Wagram könnte, falls dieser Ansatz in der neuen Stadtentwicklung gelingt und sich durchsetzt, eine Vorreiterrolle in Österreich und in der sensiblen und chanchenvollen Region Niederösterreich (als Übergangszone zu den neuen EU-Staaten aus dem Osten) haben.

Ein anderer Vergleich mit Euralille:Lille konnte zur neuen Europastadt werden indem sie die einmalige Chance der Anbindung an das neue TEN (Transeuropäisches Verkehrsnetz) nützte. Lille wurde also durch die moderne Bhanstrecke die jetzt an ihr vorbeifährt zum neuen Leben erweckt. Diese "Story" des Erfolgs erinnert an Deutsch Wagram, welche vor 160 Jahren durch die Anbindung an die Kaiser Ferdinand Bahnstrecke zur neuen Entwicklung kam.


6. Begriffe(aus: Broschüre zu Euralille, AZW)

Städtekonkurrenz

Städte werben immer mehr um Investoren. Jene Städte, denen es gelingt die stärksten und zukunftsträchtigsten Investitionen an sich zu binden, werden die 'Nase vorne haben'. Diese Konkurrenz treibt letztlich die Entwicklung voran und führt langfristig zu immer neuen Positionsverhältnissen im europäischen Städtesystem." (B. Seissl - Architektur Zentrum Wien)

Harte" und "weiche" Standortfaktoren

"harte" Faktoren: Steuerabgaben, Subventionen, Flächenverfügbarkeit, regionaler Absatzmarkt, Schnelligkeit und Flexibilität der Verwaltung, Verfügbarkeit von Arbeitnehmer.

"weiche" Faktoren: Kulturangebote, soziales Klima, Freizeitwert, Wohnwert, Schulen, Image der Stadt.

Stadtmarketing

"Stadtmarketing als neue Form kommunaler Entwicklungsplanung wäre somit ein längerfristiges Führungs- und Handlungskonzept, das auf einer Leitidee für die Stadt aufbaut."

"Das Interesse an dieser Form von Stadtmarketing ist besonders bei Klein- und Mittelstädten zw. 50.000 und 100.000 Einwohnern groß."(Aus "Stadtmarketing" Ilse Helbrecht. Berlin 1993)

USA und das Finanzierungsmodell Public Private Partnership, kurz PPP genannt

Schon seit Mitte der 70er Jahre hat sich ein bedeutender Wandel der Stadtentwicklungsplanung in den Vereinigten Staaten vollzogen, der unter den Stichwörtern Public Private Partnership, die unternehmerische Stadt, Gewinnbeteiligung (profit-sharing), Risikobereitschaft (risk-taking), Aushandlunysprozesse (dealmaking) und strategische Planung diskutiert wird. Public Private Partnership Iäßt sich als die "Bildung von Kommissionen oder Institurionen definieren, denen zu gleichen Teilen Vertreter der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung angehören." (Häussermann 1992, S.27) Die Motive fur die Versuche, die Grenzen zwischen Markt und Plan zu verwischen und Vorteile beider Steuerungssysteme zu verbinden, sind vor allem pragmatischer Natur. Die spezifische Art der US-amerikanischen Partnerschaft zwischen privater und öffentlicher Hand beruht auf raumstrukturellen, politischen und planerischen Voraussetrungen des amerikanischen Enlwicklungsmodells. Die US-amerikanische Stadtentwicklung ist (schon für den Laien) deutlich erkennbar von europäischen Urbanisationsformen zu unterscheiden. Der massive Niedergang der Innenslädte (urban light) eine fortschreitende Suburbanisierung (urban sprawl) und extreme Segregationsformen nach Rassen und Klassen (Ghettobildung) machen einen Vergleich mit mitteleuropaischen Verhältnissen nahezu unmöglich. (Feagin/Smith "Global Cities und internationale Arbeitsteilung", Berlin 1990, S.76)


7. Bibliographie:

- Honert - stadtmarketing und stadtmanagement - in Der Städtetag, 1991, H6

- Rathmayer - Stadtmarketing als Strategie der Beziehungspflege und Identifikation von Bürgern und Gästen.

- In Stadt und regionalmarketing, 1991: Töpfer/Braun: Ansatzpunkte für Marketing im kommunalen Bereich.Der Bürger als "Kunde" seiner Gemeinde.

- Uhlig: Public Private Partnership. Aufgaben. Formen und Risiken kommunaler öffentlich-privater Gemeinschaftsfinanzierungen - mit beispielen der Stadt Köln. 1990

- Broschüre zu "Euralille" - Ausstellung im Architektur Zentrum Wien, AZW 1997